16/09 Hausgemeinschaft liest.

Thilo Zantke: Wie der Prenzlauer Berg entstand (Helga Bartsch wohnt am längsten im Haus. Sie wurde dort vor 71 Jahren geboren – in dem Zimmer, in dem sie heute vorliest. Sie interessiert sich sehr für die Historie und liest deshalb aus einem Aufsatz über „Die Geschichte des Prenzlauer Berges“ von Thilo Zantke. „Der Berliner Norden (der Prenzlauer Berg) war zu dieser Zeit ohnehin schon zu einem beliebten, weit vor den Toren der Stadt gelegenen, Ausflugsziel geworden.“ – Das ist besonders für die Zugezogenen interessant, sagt sie.
Dino Buzzati: Die Mauern der Stadt AnagoorCharlotte Kuttke wohnt seit 6 Jahren im Haus und liest die Geschichte „Die Mauern der Stadt Anagoor“ von Dino Buzzati. Buzattis Geschichten gefallen ihr, weil sie Fenster in die Unendlichkeit sind.
Mascha Kaleko: Sozusagen grundlos vergnügtJana Dorau wohnt seit 10 Jahren im Haus und liest das Gedicht „Sozusagen grundlos vergnügt“ von Mascha Kaleko, weil es so fröhlich ist und so schön. „An solchen Tagen erklettert man die Leiter, die von der Erde in den Himmel führt.“
Terry Pratchett: Das Licht der Phantasie - Ein Roman von der bizarren ScheibenweltFalko Reinhardt wohnt seit 5 Jahren im Haus und liest aus „Das Licht der Phantasie – Ein Roman von der bizarren Scheibenwelt“ von Terry Pratchett. Er mag den Helden der Geschichte, den Zauberer Rincewind. Das ist der schlechteste Zauberer der Welt, der nur einen Zauberspruch kann und den auch nur unvollständig …

Diese Woche liest eine Hausgemeinschaft aus der Danziger Straße in Berlin – Prenzlauer Berg.

Formal bildet jedes Haus mit mehreren Wohnparteien eine Hausgemeinschaft. Im engeren Sinne spricht man erst dann davon, wenn die Wohnparteien auch untereinander Kontakt haben und haben wollen. Bei denen, die diese Woche vorlesen, ist das so.

Das Haus wurde zwischen 1880 und 1890 gebaut. Es war ein schönes Haus – mit Marmor und Messing und Spiegeln und Medaillons mit Schäferszenen im Treppenhaus. Im 2. Weltkrieg schlug direkt vor dem Haus eine große Fliegerbombe ein.

Sie demolierte das Haus, aber nicht die Hausgemeinschaft. Man kannte die Leute rechts und links und oben und unten. Im Hof wurden Feste gefeiert, für Jung und Alt. Auch die Oma von Helga Bartsch wohnte im Haus. Sie war die Erste, die einen Gasherd von Junkers aus Dessau hatte. Dort buk das ganze Haus Kuchen.

Heute ist das nicht mehr so. Die Entwicklung vom Arbeiterviertel zum Stadtteil für Besserverdienende hat mit den Jahren zu einem Bevölkerungsaustausch geführt. Nur 30 Prozent der Wendezeit-Bewohner leben heute noch im Prenzlauer Berg.

In dieser Woche beginnt die Sanierung des Hauses. Die Hausgemeinschaft sieht ihr mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Mieten werden steigen. Wer wird bleiben?

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